Wenn die Busfahrt zur Abzocke wird

Von Heizdecken über Sehhilfen bis hin zu Vitaminpräparaten – Teilnehmer*innen von Verkaufsveranstaltungen bei Kaffeefahrten sind neuerdings durch strengere Regeln besser geschützt.

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Nach wie vor sind Kaffeefahrten bei älteren Menschen beliebt / Foto Unsplash

Die aktuelle Corona-Lage macht die Teilnahme an Busfahrten mit Verkaufsveranstaltungen wieder möglich. Vor allem ältere Menschen versprechen sich von sogenannten Kaffeefahrten mehr Abwechslung im Alltag und nehmen selbst in Kauf, dass eine Werbeveranstaltung auch auf dem Programm steht. Es klingt ja auch verführerisch: Busreise, Essen, Kaffee, Kuchen und Geschenke – alles für ein paar Euro. Doch mit den billigen Ausflügen haben solche Einladungen selten was zu tun: Bei der Möglichkeit zur Teilnahme an einer Werbeveranstaltung geht es oftmals nur ums Geschäft. Dabei verbinden viele ältere Menschen mit einer Kaffeefahrt noch das ursprüngliche Bild einer gemächlichen und klimatisierten Busfahrt mit munteren Gleichgesinnten, die allesamt von eine*m*r Akkordeonspieler*in mit seinem*ihrem Potpourri aus Gassenhauern begleitet werden. Angesichts dieser schon im Bus entstandenen Geselligkeit überrascht es auch nicht, „das mehr als fünf Millionen Deutsche jährlich an solchen Busfahrten teilnehmen“, schätzt das ZDF in einem Video-Beitrag. Dabei machen die Veranstalter ordentlich Kasse: „Rund 500 Millionen Euro Umsatz“, rechnet der Sender vor.

Ware meist teurer als im Fachhandel

Geködert werden die betagten Fahrgäste in spe immer gleich: Durch Werbeschreiben in Zeitungen und Hauswurfsendungen mit niedrigen Preisen, kleinen Geschenken, einem leckeren Mittagessen und mit vielen Schnäppchen bei einer Verkaufsshow. Die dann während der Kaffeefahrt angebotenen Artikel, wie Heizdecken mit eigener Powerbank, Kochtopf-Sets, Magnetsteine mit künstlicher Aura, Badezusätze oder Nahrungsergänzungsmittel sind dazu nicht selten von minderwertiger Qualität und nach polizeilicher Erfahrung häufig meist teurer als im Fachhandel.  Dennoch gehen viele Teilnehmende an Kaffeefahrten finanzielle Verpflichtungen ein, die teilweise sogar ihr monatliches Einkommen überschreiten.

Verkaufsveranstaltung, im Angebot Matratzen und Matratzenauflagen. Foto: Wiki

Widerrufsrecht aushebeln

Es klingt nach einem vermeintlich guten Service etwa, wenn ein*e Verkäufer*in währen der Tour seinen*ihren älteren Kund*innen anbietet, die neue schmerzlindernde Matratze nicht nur zu liefern, sondern gleich auszupacken und auf das Bett zu legen. Das dies aber unter Umständen nur der dreiste Versuch ist, das Widerrufsrecht, das jedem Verbraucher mindestens 14 Tage lang zusteht, auszuhebeln, ist keine Seltenheit. In einem konkreten Fall hatte ein Kaffeefahrtunternehmen seine Kunden mit genau diesem Serviceangebot gelockt. Denn in den Widerrufsbelehrungen des Unternehmens war die Rückgabe von geöffneten oder benutzten Waren ausgeschlossen. Doch die Richter sahen den Fall anders und gaben der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale Brandenburg statt (LG Berlin, Az.: 15 O 54/16). Gelockt wird offenbar mit allem, was Geld einbringt. So berichten Teilnehmer*innen hinter vorgehaltener Hand von bizarren Wunderheiler-Angeboten, etwa einem Gespräche mit Engeln vor Ort. Ungeachtet dessen besteht anschließend zumindest die Gewissheit, dass selbst ein ausgiebiger Kaffeeklatsch mit einem Erzengel ein tiefes Loch in die Haushaltskasse reißen wird. Andere Versprechen gehen glatt durch den Magen. So bestätigte der Bundesgerichtshof die Verurteilung eines Veranstalters wegen strafbarer Werbung. Er hatte Rentner*innen gelockt, denen er ein leckeres, reichhaltiges Mittagsmenü und Topgewinne versprach. Das Essen entpuppte sich später als eine Konservendose Erbsensuppe zum Mitnehmen, und eine Verlosung hatte nie stattgefunden. (BGH, Urteil, Az.: 3 StR 11/0)

Mit dem Bus unterwegs / Foto: Pexels

Neue Regeln seit Mai

„Auch der Ausflug entspricht in den wenigsten Fällen den Erwartungen, selbst wenn der Preis auf den ersten Blick niedrig ist. Die von den Kaffeefahrt-Veranstaltern angepriesenen Ausflugsziele werden in der Regel überhaupt nicht angesteuert“, berichtet der ADAC. „Stattdessen landen die Teilnehmer*innen in abgelegenen Landgasthöfen und werden dort gezwungen, an einer mehrstündigen Verkaufsveranstaltung teilzunehmen“, berichtet der Automobilclub weiter. Alles in allem Grund genug dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Seit dem 28. Mai nun setzt die Regierung den betrügerischen Kaffeefahrten klare Grenzen. Seitdem müssen sich alle Anbieter solcher Kaffefahrten an die strengeren Regeln halten. Heißt: Mit der neuen Fassung der Gewerbeordnung (§ 56a Absatz 4 GewO) sind die Veranstalter verpflichtet, schon in der Werbung Angaben zu machen, über die Art der Waren, die angeboten werden, den Ort der Veranstaltung, den Name und die Anschrift des Veranstalters sowie Kontaktmöglichkeiten per Telefon und E-Mail, und Informationen zum Widerrufsrecht. Auch ist der Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln auf Tagesausflugsfahrten mit anschließender Verkaufsveranstaltung untersagt. Das Verbot soll auch für Medizinprodukte wie Kapseln mit Fett- oder Kohlenhydratblockern gelten. Zudem dürfen Finanzprodukte, wie zum Beispiel Versicherungen, Bausparverträge und Medizinprodukte, wie etwa Sehhilfen oder Stützstrümpfe, laut der Gesetzesänderung nicht mehr verkauft werden.

Pause während einer Verkaufsveranstaltung / Foto: Pexels

Ergänzungsmittel können schädlich sein

Die Regierung begründet dies damit, dass „vor allem ältere Menschen mit teilweise irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden vielfach überteuerte Produkte angeboten werden. Deshalb dient das Gesetz auch der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Wer sich nicht daran hält, muss tief ins Portemonnaie greifen, der Bußgeldrahmen wurde bei Verstößen von 1.000 Euro auf 10.000 Euro angehoben. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft warnt vor allem vor einem übermäßigen Verzehr der angebotenen Nahrungsergänzungsmittel. Solche Präparate würden sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken. Es sei demnach verantwortungslos, die Sorge um die eigene Gesundheit gerade von älteren Menschen auszunutzen. Dieses Modell dürfe keinen Erfolg mehr haben – vor allem, um gesundheitliche Risiken für die Verbraucher*innen zu minimieren. Daher rät auch der ADAC bei aller Art von Werbe- und Verkaufsfahrten zu erhöhter Wachsamkeit und Skepsis. Um Letztere mit Fakten zu stützen, hat die Seniorenagentur-Frankfurt die Empfehlungen der Polizeilichen Kriminalprävention und der Verbraucherzentrale zusammengetragen, damit die künftige Busfahrt nicht zur Abzocke wird:

  • Generell gilt: Je günstiger die Reise, desto spärlicher die touristischen Attraktionen. Lassen Sie also im Zweifel die Finger ganz von der Kaffeefahrt.
  • Wenn Sie trotzdem mitfahren wollen: Keiner kann Sie zwingen, an der Verkaufsveranstaltung teilzunehmen. Sie können in der Zeit genauso gut etwas anderes unternehmen. Trotzdem haben Sie einen Anspruch auf alle bezahlten Leistungen. Veranstalter*innen dürfen Sie also nicht von der gebuchten Schifffahrt ausschließen oder die Verpflegung streichen.
  • Denken Sie dran: Die auf der Werbeveranstaltung angebotenen Waren sind oftmals überteuert oder minderwertig. Fallen Sie also nicht auf die unzähligen Versprechen der Verkäufer*innen herein.
  • Überprüfen Sie die Seriosität des Anbieters. Auf der Einladung sollte die
    vollständige Adresse des Veranstalters stehen, eine Postfachadresse reicht später in der Regel nicht, um Ihre Rechte durchzusetzen. Tipp dazu: Die Verbraucherzentrale Hamburg hat eine „Schwarze Liste“ unseriöser bundesweiter Betreiber von Kaffeefahrten zusammengestellt, die HIER abrufbar ist.
  • Wenn Ihnen nach der Veranstaltung die Rückfahrt verweigert wird, verlangen Sie den Namen des Busunternehmens und der Busfahrerin oder des Busfahrers oder rufen Sie die Polizei, damit die Personalien erfasst werden. Nach Paragraf 661a BGB müssen versprochene Geschenke ausgegeben werden.
  • Selbst die so angepriesenen Waren sind häufig noch teurer als vergleichbare Produkte zu regulären Preisen. Besondere Vorsicht ist also bei „Sonderangeboten“ und „Spezialrabatten“ angebracht.
  • Lassen Sie sich nicht zu einem Kauf drängen! Unterschreiben Sie nichts, was Sie nicht wollen oder nicht genau verstanden haben!
  • Zahlen Sie nichts an, auch wenn diese als Verwaltungsgebühr deklariert wird! Wer den Kaufvertrag widerruft, bekommt sonst womöglich nur schwer sein Geld wieder zurück.
  • Ein fehlendes oder falsches Datum im Kaufvertrag erschwert die Durchsetzung Ihres Widerrufsrechts. Fordern Sie eine Vertragsdurchschrift, auf der Name und Anschrift des Vertragspartners deutlich lesbar sind.
  • Die meisten Verträge, die auf Kaffeefahrten geschlossen werden, können ohne Begründung innerhalb von 14 Tagen widerrufen werden. Das geht zum Beispiel per Mail oder am besten per Fax mit Sendebericht oder einem Einwurfeinschreiben.
  • Ohne ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung bleibt Ihnen auch noch länger (ein Jahr und 14 Tage) Zeit, sich vom Vertrag zu lösen.
  • Bei Schwierigkeiten mit Käufen im EU-Ausland hilft das Europäische Verbraucherzentrum.
  • Das deutsche Widerrufsrecht gilt auch für Kaffeefahrten ins Ausland, wenn in Deutschland dafür geworben wurde und Busfahrt, Veranstaltung und Verkauf von einem deutschen Unternehmen durchgeführt werden.
  • Und noch was: Nehmen Sie keine größeren Bargeldbeträge mit. Tragen Sie Geld, Zahlungskarten und Papiere immer in verschiedenen, verschlossenen Innentaschen Ihrer Kleidung und dicht am Körper statt in der Handtasche. (DE)

Gefördert aus Mitteln der Stadt und des Jobcenters Frankfurt am Main.

 

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