Uhren voller Sinn

Horst Lichter, deutscher Fernsehkoch und Moderator der Trödelshow „Bares für Rares“ des Senders ZDF, war kürzlich von einem Objekt besonders angetan. Das Exponat für das bevorstehende Bieterverfahren war eine alte Sinn-Fliegeruhr aus Frankfurt. Die hatte die Verkäuferin Heidemarie Hayko aus Hamburg in das Fernsehstudio im Walzwerk in Pulheim bei Köln mitgebracht. Im Gepäck dabei hatte die 67-Jährige auch noch eine ergreifende Geschichte einer Frankfurter Legende. Und die beginnt so: Im Jahr 1984 hatte sich ihr Mann, der von Beruf Meteorologe ist, einen Sinn-Sportchronographen zum Geburtstag gewünscht. Damals wohnte das Ehepaar noch in der Mainmetrople. Also fuhr sie mit dem Fahrrad zur Firma Sinn in den Stadtteil Rödelheim. Die Verkäuferin berichtete, dass sie eine Uhr ausgesucht hatte, aber noch eine zweite Uhr gut fand, diese aber nicht bezahlen konnte. Firmengründer Helmut Sinn erlaubte ihr daraufhin, diese zweite Uhr ohne Bezahlung mitzunehmen – und zwar mit den Worten: „Gib mir das Geld, wenn du es hast.“ Ein halbes Jahr lang habe Heidemarie Hayko gespart und sei dann erneut mit dem Fahrrad wieder nach Frankfurt-Rödelheim hingefahren. „Ich wusste, dass du kommst.“ Mit diesem Worten habe sie Helmut Sinn empfangen. „Herr Sinn ist ein toller Mensch!“, zeigte sich Moderator Horst Lichter von dem Vertrauensvorschuss angetan.

Wenn die Stunde schlägt

Kein Wunder. Die Firma Sinn mit dem Zusatz „Spezialuhren“ zählt heute zu den international renommiertesten Herstellern von Fliegeruhren. Im Unterschied zu anderen Uhrenmanufakturen hat sie jedoch nicht irgendwann begonnen, ihr Sortiment um Pilotenuhren zu ergänzen, sondern wurde von einem Fluglehrer eigens dafür gegründet, um nach dessen Vorstellungen Uhren für besonders anspruchsvolle Zielgruppen wie Piloten zu produzieren. So war Helmut Sinn, der im 102. Lebensjahr verstarb, ein leidenschaftlicher Pilot, Instrumenten- und Kunstfluglehrer, Luftfahrtsachverständiger und galt später als Ausnahmepersönlichkeit in der Uhrenbranche. Heute umfasst das Sortiment seiner im Jahr 1961 gegründeten Firma mechanische Zeitmesser, die laut Firmenangaben „Piloten, Taucher, Feuerwehrleute, Notfallmediziner, Rettungskräfte, Spezialeinheiten der deutschen Bundespolizei wie die GSG 9, das Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM) und die Spezialeinheit der deutschen Zollverwaltung, die Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll (ZUZ), überzeugen“.

Analog versus Apple Watch

Foto: Sinn Spezialuhren

Nun hinterlässt Helmut Sinn ein Lebenswerk, dem ein fester Platz in den Vitrinen internationaler Uhrensammler sicher ist. Dazu zählen Legenden wie die Sinn-Uhr 142 S, die im Jahr 1985 während der Spacelab-Mission D1 von dem deutschen Astronauten Reinhard Furrer als erster Automatik-Chronograph im Weltraum getragen wurde. Im Oktober 2014 unternahm Robert Alan Eustaceer im Alter von 57 Jahren mit einem Fallschirm einen Stratosphärensprung aus 41.419 Metern Höhe und brach damit den zwei Jahre zuvor aufgestellten Höhenrekord des österreichischen Extremsportlers Felix Baumgartner. Am Handgelenk trug der Amerikaner eine Sinn 857 UTC TESTAF. Jahre später blickten auf dem Flughafen Paderborn/Lippstadt knapp 1.000 Zuschauer*innen gebannt in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Um 16 Uhr war es dann soweit: Der Weltrekord-Versuch des Cypres Demo Teams, bestehend aus sieben international erfahrenen Profis, war geglückt – die Präsentation einer rund 6.500 Quadratmeter großen Deutschlandflagge am Himmel während eines Fallschirmsprunges. Selbstverständlich waren auch Sinn Spezialuhren mit am Start und in der Luft, trugen doch alle Fallschirmspringer*innen bei der Aktion ihren persönlichen Sinn-Zeitmesser am Handgelenk.

Foto: Sinn Spezialuhren

Auch der Fliegerchronograph Sinn 157 ist ein prominenter Wegbegleiter fürs Leben. Diese Uhr war nicht als Prahler-Wecker konzipiert, sondern als Instrument für Pilot*in der Bundeswehr. Wohnte am Anfang ein Zauber inne, hat dieser bis heute noch Bestand. Kostete sie in den 80er Jahren noch um die 800 DM, bringt sie heute im gutem Zustand bis zu 2.000 Euro ein. Leider wird diese Uhr nicht mehr gebaut. Dabei gilt ihr Lemania-5100-Automatikwerk mit 17 Steinen als der VW unter den Chronographen-Werken und streng genommen analoger Vorgänger der Apple Watch. Denn die 157 ist ausgestattet mit Pulsometer, Tachymeter, Zeitmessung und einer 24-Stunden-Anzeige. Auch kann man mit ihr navigieren und die Hoheit über alle Daten behalten – ohne ein einziges Update. Zudem läuft die Sinn-Uhr 157 durch ihren kugelgelagerten Rotor fast ewig, im Gegensatz zur Apple Watch, die dann bereits auf der Ladestation liegt.

Zeitreisende aus Sossenheim

Wer einen Blick auf das heutige Sortiment der Uhrenfabrik wirft, findet Zeitmesser für Piloten, dort vor allem in der Kollektion Sinn Instrumentelle Chronographen. „Dabei fällt auf, dass einige Modelle zwar Anklänge an das Uhrendesign der 1960er und 1970er Jahre zeigen, die „typischen“ Fliegeruhrendesigns aus den 1910er bis 1940er Jahren, die in den zurückliegenden Jahren von zahlreichen anderen Herstellern für eine Reihe von Retro-Modellen verwendet worden sind, jedoch komplett fehlen“, berichtet das Online-Fachmagazin uhreninstinkt.de. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Helmut Sinns Anspruch war es, zeitgenössische Spezialuhren zu entwickeln und zu bauen – und eben keine Retro-Uhren mit dem Flair vergangener Jahrzehnte.

Taucheruhren aus U-Boot-Stahl

Primär für seine Fliegermodelle bekannt, besitzt Sinn mit seinen Taucheruhren eine weitere Spezialität und setzt auch unter Wasser auf eine Vielzahl neuer Inovationen. Zu nennen sind hierbei Technologien mit U-Boot-Stahl, mit Magnetfeldschutz  über Tegiment bis hin zur Ar-Trockenhaltetechnik. Scheinen die Gehäuse der Taucheruhren zunächst aus gewöhnlichem Edelstahl zu bestehen verbirgt sich in Wahrheit hinter diesem Material eine Spezialentwicklung ThyssenKrupps, die für die U-Boot-Klasse 212 der Deutschen Marine entwickelt wurde.

Um die Robustheit angemessen zu testen, schickt Sinn seine Taucheruhren zur Überprüfung von Wasserdichtigkeit und Druckfestigkeit nicht in irgendein Labor, sondern zur DNV GL (ehemals Germanische Lloyd) nach Hamburg. Dort, wo auch Atem- und andere Tauchgeräte auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden, etablierte man 2005 zusätzlich ein eigenes Testverfahren für die Sinn Zeitanzeiger. Heute gehören drei Stunden bei minus 30 Grad Celsius und weitere drei Stunden bei 70 Grad Celsius und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit zum Pflichtprogramm. Hinsichtlich ihrer maximalen Tauchtiefe können Sinn-U-Uhren in vier Kategorien unterteilt werden: 500 Meter (50 bar), 1.000 Meter (100 bar), 2.000 Meter (200 bar) und 12.000 Meter im Falle der Modellreihe UX, was damit den tiefsten Punkt der Weltmeere im Marianengraben übertrifft.

Foto: Sinn Spezialuhren

Das Sinn-Modell 717 ist ein weiteres Highlight aus dem Sossenheimer Sortiment. Als „Bordchronograph für das Handgelenk“ beschreibt der Hersteller dieses Werk für die Sinne. Für die Gestaltung seines Chronographen erhielt das Unternehmen Ende 2021 sogar den German Design Award. Er ist der internationale Premiumpreis des Rat für Formgebung und zählt zu den anerkanntesten Design-Wettbewerben weltweit. Für die Entwicklung der Uhr stand die historische Navigationsborduhr Nabo 17 ZM in Form und Funktion Pate. Die Herausforderung bestand laut Sinn darin, die Funktionen des Klassikers in eine alltagstaugliche Armbanduhr zu übertragen.

Eine neue Zeitrechnung

Foto: Sinn Spezialuhren GmbH

Nachdem Helmut Sinn die von ihm gegründete Firma „Sinn Spezialuhren“ im Jahr 1994 inklusive der Markenrechte an Lothar Schmidt, einen Ingenieur und langjährigen leitenden IWC-Mitarbeiter, verkaufte, stellte er fest, dass er sich auch mit 80 Jahren noch nicht zur Ruhe setzen wollte. So gründete er zwei Jahre später in der Mainmetropole die Firma „Jubilar Uhren“. Hier gab es zwei Uhrenlinien: Der Name „Jubilar“ wurde für Taschenuhren benutzt, während „Chronosport“ für klassische Fliegeruhren und Fliegerchronographen stand. Letztere Uhrenlinie wurde anschließend ins Modellprogramm der Traditionsmarke Guinand übernommen.

Kein Wunder, denn Helmut Sinn besaß ebenfalls deren Rechte. So übernahm der Uhrenliebhaber im Jahr 1995 die Aktien der Guinand S.A. von der Familie Guinand und führte die Produktion für andere Marken weiter. Mit fast 100 Jahren verkaufte Sinn die Firma mit allen Rechten und Pflichten zum Jahreswechsel 2014/2015 an Dipl.-Ing Matthias Klüh, der nun als Geschäftsführer die Guinand GmbH leitet. Die ursprüngliche Produktion wurde damit aus der Schweiz, einem kleinen Dorf namens „Les Brenets“, das an einem Hang im Neuenburger Jura oberhalb des Lac des Brenets liegt, nach Rödelheim verlagert.

In Sossenheim montiert das Unternehmen Sinn hauptsächlich seine Uhren. Aktuell werden dort laut der Enzyklopädie Wikipedia über 14.000 Uhren pro Jahr verkauft. Es bestehen folgende Produktlinien: Instrumentelle Chronographen, Taucheruhren, Navigationsborduhren und -stoppuhren, Frankfurter Finanzplatzuhren, klassische Meisterwerke und ein paar Dutzend Damenuhren. Seit Mai 2015 ist Sinn Spezialuhren mit zusätzlichen Verkaufs- und Werkstatträumen auf dem Römerberg in der Altstadt im Haus zum Goldenen Rad vertreten. Und seit gut fünf Jahren befindet sich der neue Hauptsitz in Frankfurt-Sossenheim. Im Zuge dieses Umzugs wurde der bisherige Hauptsitz in Frankfurt-Rödelheim aufgegeben. In der Stadt Dresden hat der Uhrenhersteller vor einigen Monaten nicht nur aufgrund der hohen Nachfrage eine neue Dependance eingerichtet. Auch logistische Gründe sprechen für die neue Ansiedelung. Die Sächsische Uhrentechnologie GmbH Glashütte (SUG) ist nur etwa 25 Kilometer entfernt. An diesem Standort werden die Gehäuse für die Sinn-Uhren entwickelt und gefertigt.

Foto: Sinn Spezialuhren

Aber nochmal zurück zu Horst Lichter und seiner Sendung „Bares für Rares“. Bleibt noch eine Frage: Was hat denn nun die alte Sinn-Uhr der Hamburger Verkäuferin Heidemarie Hayko eingebracht? Zur Erinnerung: Das angebotene Modell ist eine Sinn-Uhr 144 STSA, mit Stoppfunktion und Wochentag- und Tag-Anzeige (Day-Date-Anzeige) in der Größe von 40 Millimetern. Das Meisterstück mit dem Original-Rollenarmband gab es seit 1974. Zehn Jahre später kaufte Heidemarie Hayko die Uhr für 400 DM so schätzte sie, was umgerechnet 200 Euro macht. Stolze 1.300 Euro konnte die Verkäuferin beim Höchstbietenden letztendlich herausgeschlagen. „Was will ich mehr“, so Hayko anschließend zufrieden. „Ich gehe als glücklicher Mensch nach Hause“. Wen wundert`s, denn der Wert der Fliegeruhr hat sich somit mehr als verfünffacht. (Fassieh Khairi 2022)

Kontakt:
Sinn Spezialuhren GmbH
Wilhelm-Fay-Straße 21
65936 Frankfurt am Main
Tel: 069 978414-0
E-Mail: info@sinn.de

Gefördert aus Mitteln der Stadt und des Jobcenters Frankfurt am Main.

 

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