Einmal arm, immer arm?
Die Altersarmut bedroht immer mehr Menschen, vor allem die Älteren in Deutschland sind davon betroffen – mit steigender Tendenz. Kernaussagen zweier Studien, die das Bundesseniorenministerium und der Paritätische Wohlfahrtsverband durchgeführt haben.
Fast ein Viertel der über 80-Jährigen in Deutschland leidet unter Altersarmut. Das hat die vom Bundesseniorenministerium geförderte Studie „Hohes Alter in Deutschland“ ergeben. Demnach ist hierzulande mehr als jeder fünfte Mensch über 80 Jahren (22,4 Prozent) rechnerisch arm. Bei den hochbetagten Frauen liegt der Anteil sogar noch um mehr als neun Prozentpunkte höher als bei den Männern. Insgesamt verfügen die Betroffenen über ein maximales Einkommen von 1.167 Euro im Monat. In der Gesamtbevölkerung liegt diese Quote bei 14,8 Prozent. Das Einkommen der Senior*innen in Ostdeutschland (1.758 Euro) liegt unter dem Einkommen in Westdeutschland (1.923 Euro). In der Bevölkerungsgruppe der ab 80-Jährigen gelten nur 2,8 Prozent als einkommensreich. Bei ihnen übersteigt das monatliche Nettoäquivalenzeinkommen pro Kopf den Wert von 3.940 Euro.
Mindestlohn auf zwölf Euro anheben
„Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, das Entgelttransparenzgesetz weiterzuentwickeln und die Rechtsdurchsetzung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Genauso ist es höchste Zeit, den gesetzlichen Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde anzuheben. Denn rund zwei Drittel derjenigen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sind Frauen. Und: Mit dem Gleichstellungscheck für alle Gesetzentwürfe des Bundeskabinetts will ich dafür sorgen, dass strukturelle Benachteiligungen von Frauen endlich ein Ende haben“, so die erste Reaktion von Anne Spiegel, neue Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Kabinett Scholz, nach der Veröffentlichung der Zahlen.
Berechnungsgrundlage der vom Bundesseniorenministerium in Auftrag gegebenen Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) ist das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen, das sich aus dem Gesamteinkommen eines Haushalts und der Anzahl und dem Alter der von diesem Einkommen lebenden Personen ergibt. Der Bericht basiert auf Angaben von mehr als 10.000 zufällig ausgewählten Personen im Alter von 80 Jahren oder älter im gesamten Bundesgebiet, die zwischen November 2020 und April 2021 schriftlich befragt wurden. Die Studie wurde vom Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health (ceres) sowie dem Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) durchgeführt.
Laut einem zeitgleich veröffentlichen Armutsberichts des Paritätischen lebten im vergangenen Jahr insgesamt rund 13,4 Millionen Menschen in Deutschland unter der Armutsgrenze, was einer Quote von 16,1 Prozent entspricht. Ein neuer Rekord. Die aktuellen Daten fügen sich in das Bild der letzten Jahre ein: Es lasse sich ein stetiger Trend erkennen, der auch 2020 nicht gebrochen zu sein scheine. 2006 betrug die Quote noch 14,0 Prozent, heißt es in dieser Studie.
Am meisten von der Armut betroffen seien dabei insbesondere Haushalte mit drei und mehr Kindern (30,9 Prozent) sowie Alleinerziehende (40,5 Prozent). Erwerbslose Personen (52 Prozent) und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen (30,9 Prozent) seien ebenfalls stark überproportional betroffen. Das Gleiche gelte für Menschen mit Migrationshintergrund (27,9 Prozent) und ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,8 Prozent).
Nord-Süd-Gefälle
Im Ländervergleich zeigt sich den Angaben zufolge, dass sich der Graben zwischen Bayern und Baden-Württemberg und dem Rest der Republik vertieft hat. Kommen die beiden süddeutschen Länder auf eine gemeinsame Armutsquote von 12,2 Prozent, sind es für die übrigen Bundesländer gemeinsam 17,7 Prozent. Der Abstand zwischen Bayern (11,6 Prozent) und dem am schlechtesten platzierten Bundesland Bremen (28,4 Prozent) beträgt 16,8 Prozentpunkte. Mit außerordentlich hohen Armutsquoten von um die 20 Prozent fallen auch Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt auf.
Alarmierende Zahlen in Hessen
Auch in Hessen steigt die Armut an und hat einen historischen Höchststand erreicht. Nach dem Armutsbericht des Paritätischen hat die Armutsquote im ersten Corona-Jahr in Hessen einen Sprung um 1,3 Prozentpunkte nach oben gemacht. Im Bundesdurchschnitt ist sie dagegen nur um 0,2 Prozentpunkte gewachsen. 2020 lag die Armutsquote in Hessen bei 17,4 Prozent, deutschlandweit bei 16,1 Prozent. „Die Armutsentwicklung in Hessen ist alarmierend“, kommentiert Dr. Yasmin Alinaghi, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hessen, die Erhebung. „Einmal arm, immer arm – das ist für immer mehr Menschen eine reale Bedrohung“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa vor der Veröffentlichung des Armutsberichts. Die Pandemie habe lange angelegte Armutsrisiken sichtbar gemacht, berichtet tagesschau.de.
Zur Methodik des Paritätischen: Der Armutsbericht arbeitet mit amtlichen Statistiken, unter anderem einer Auswertung des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes, der erstmals zuverlässige Armutsquoten für das Pandemie-Jahr 2020 liefert. Als arm gilt demzufolge jede Person, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen. Der Berliner Verband folgt damit der in der EU verwendeten Definition von „relativer Armut“ im Verhältnis zum Lebensstandard in einem Land. (DE)
Weiterführender Link:
Studie „Hohes Alter in Deutschland“ des Bundesseniorenministeriums