Arbeiten bis zum Umfallen?

Mehr als eine Million Beschäftigte hierzulande sind älter als 67 Jahre alt. Ein Rundumblick auf die gesetzliche Rente und warum immer mehr Menschen im Alter arbeiten müssen, um die Altersarmut abzuwenden.

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Foto: Mart Production, Pexels

Die blanken Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Mehr und mehr Rentner müssen arbeiten. Im vergangenen Jahr waren es 1,04 Millionen Beschäftigte mit 67 Jahren oder älter. Fast 600.000 hatten noch im Alter ab 70 einen regelmäßigen Job. Knapp 220.000 waren sogar 75 Jahre Jahre älter – und 72.000 Beschäftigte waren sogar mindestens 80 Jahre alt und kamen nicht zur ersehnten Ruhe. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag, mittels dieser Abgeordnete Auskunft und Rechenschaft von der Bundesregierung zu politischen Fragen und Sachverhalten verlangen können. Die Angaben beziehen sich auf Daten der Bundesagentur für Arbeit und auf den Stichtag 30. September 2020, meldet tagesschau.de.

Ein Viertel der über 80-Jährigen leidet unter Altersarmut
Für die steigende Zahl an Beschäftigten im Alter sehen Experten verschiedene Motive, häufig aber geprägt von der Notwendigkeit, die geringe Rente aufzubessern. So ist einer davon die finanzielle blanke Not, etwas hinzuverdienen zu müssen. Der Grundsatz „später in Rente, heißt höhere Rente“, ist in diesem Zusammenhang bestenfalls trivial, denn fast ein Viertel der über 80-Jährigen in Deutschland leidet unter Altersarmut, hat die vom Bundesseniorenministerium geförderte Studie „Hohes Alter in Deutschland“ ergeben. So ist hierzulande mehr als jeder fünfte Mensch über 80 Jahren (22,4 Prozent) rechnerisch arm. Bei den hochbetagten Frauen liegt der Anteil sogar noch um mehr als neun Prozentpunkte höher als bei den Männern. Insgesamt verfügen die Betroffenen über ein maximales Einkommen von 1.167 Euro im Monat. In der Gesamtbevölkerung liegt diese Quote bei 14,8 Prozent, berichtete bereits die Seniorenagentur.

Höchstrente bei rund 3.000 Euro 
Wann die normale Altersrente beginnt, hängt vom Geburtsdatum ab. So wird die Regelaltersgrenze für nach dem 31.12.1946 geborene Versicherte schrittweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben. Wer zum Beispiel 1956 geboren ist und im Jahr 2021 seinen 65. Geburtstag feiert, erreicht die Regelaltersgrenze mit 65 Jahren und zehn Monaten. Alle, die 1964 oder später geboren sind, erreichen diese erst mit 67 Jahren. Die Höchstrente erhalten Rentner*innen, die 45 Jahre lang durchgehend ein Gehalt in Höhe der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze erhalten haben. Dieser Wert liegt in diesem Jahr laut Berechnung der Deutschen Rentenversicherung im Westen bei exakt 2.961,90 Euro brutto, oder 2.636,09 Euro netto, heißt es in einem VZ-Artikel.

Jede fünfte Altersrente unter 500 Euro im Monat
Wie schade nur, das die meisten Rentner*innen in Deutschland von dieser Summe meilenweit entfernt sind. Insgesamt bekommen von den 21,2 Millionen Altersrentnern 17 Millionen eine Rente von unter 1.000 Euro im Monat, fast jeder zweite weniger als 803 Euro, jeder fünfte sogar unter 500 Euro, was höchsten die Durchschnittsmiete deckelt, verlauten die Zahlen des Bundessozialministeriums, so die ZEIT.  So ist es auch nachvollziehbar, dass viele Hochbetagte nebenbei noch in einem Büro, als Putzkraft oder als Fahrer*innen arbeiten müssen. Auch in den Bereichen Gebäudetechnik sowie Lagerwirtschaft und Zustellung sind viele Ältere oftmals in Minijobs tätig.

Thema Renteneintrittsalter: Viele erleben ihr 65. Jahr nicht mehr
Arbeiten bis zum Umfallen? Makabererweise zeigen Daten, dass fast 20 Prozent aller Verstorbenen in Deutschland gar nicht mehr das Renteneintrittsalter erreichen. So hatten 2019 demnach 17 Prozent aller Verstorbenen das 67. Lebensjahr nicht vollendet, 14,4 Prozent erlebten sogar ihr 65. Jahr nicht mehr. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die tagesschau.de vorliegt. Mit Blick auf die pandemiebedingt angespannten Staatsfinanzen werden allerdings Stimmen lauter, das Renteneintrittsalter auf 69 anzuheben. Auch die Bundesbank spricht sich für eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters aus. Die bisher stetig wachsende Lebenserwartung bedeute immer längere Rentenzeiten bei konstanten Beitragszeiten, was eine Erhöhung über 67 Jahre hinaus nahelege, so die Begründung. Blöd nur, das bei einer Anhebung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre nach heutigem Stand noch mehr Menschen das Rentenalter nicht erreichen würden. 2019 waren demnach 19,8 Prozent aller Verstorbenen jünger als 69 Jahre, also knapp jeder Fünfte.

Corona-Ausnahmeregelung soll dauerhaft gelten
Wegen der Corona-Krise hatte der Bund die sogenannte Hinzuverdienstgrenze für Frührentner von 6.300 Euro zunächst auf 44.590 Euro für 2020 und zuletzt auf 46.060 Euro für 2021 angehoben. Begründet wurde dieser Schritt mit dem gestiegenen Personalbedarf in vielen Branchen, etwa im Gesundheitswesen. Inzwischen soll die Corona-Ausnahmeregelung dauerhaft gelten. Damit würden die Frührenten bei einem Nebenjob im Alter nicht so schnell gekürzt. Der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, sagt gegenüber t-online dazu: „Innerhalb der Koalition haben wir vereinbart, diese Regelung zum Hinzuverdienst dauerhaft zu entfristen“, so der 56-jährige. „Wir schaffen damit mehr Flexibilität beim Rentenübergang und ersparen der Rentenversicherung erheblichen Verwaltungsaufwand.“ Tipp am Rande: Prüfen Sie selbst, wie sich ein Hinzuverdienst auf Ihre Voll- oder Teilrente auswirkt, und nutzen Sie den Online-Rechner der Deutschen Rentenversicherung.

Jobverlust kurz vor der Rente
Zwischen Rückschlag und Scham: Der Verlust des Arbeitsplatzes trifft Menschen oft unerwartet und sehr hart. Ein Jobverlust kurz vor dem Ruhestand trifft doppelhart, denn der Verlust der Arbeit hat entweder Abzüge auf die Rente zur Folge, oder kann den Beginn der Rente sogar verschieben. Wird also eine ältere Person arbeitslos, wird die Zeit, in der sie Arbeitslosengeld I oder Hartz 4 bezieht, nicht immer auf die Wartezeit angerechnet. Davon sind insbesondere die letzten zwei Jahre vor dem Rentenbeginn betroffen. Statt der ursprünglich erwarteten 45 Jahre Wartezeit, hätte die betroffene Person demnach zum geplanten Rentenbeginn im schlimmsten Fall nur 43 Jahre Wartezeit. Dadurch würde sie nur noch als langjährig Versicherte gelten. Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es nur, wenn die Person arbeitslos wird, weil der Arbeitgeber insolvent geht oder den Betrieb vollständig einstellt, schreibt die WAZ. Müssen ältere Menschen dann zum Amt gehen, schämen sich viele und fühlen sich als Bittsteller. „Wir erleben in unserer Rechtsberatung, dass die Leute rückwärts wieder rausgehen, wenn wir ihnen vorschlagen, Grundsicherung zu beantragen“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Berliner Sozialverbandes VdK. Andere wiederum würden sich unbegründet sorgen, dass ihre Kinder zur Unterhaltspflicht für sie herangezogen werden.

Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung 
Fakt ist: Mehr als die Hälfte der Senior*innen in Deutschland, denen Grundsicherung im Alter zusteht, nehmen diese nicht in Anspruch. Dies ergab eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) der Deutschen Rentenversicherung Bund gefördert wurde. Mithilfe der Angaben über den tatsächlichen Leistungsbezug ließ sich die Gruppe identifizieren, die zwar einen Anspruch hätte, diesen aber nicht geltend macht: Das sind knapp 62 Prozent oder hochgerechnet etwa 625 000 Privathaushalte, die ihren Anspruch nicht wahrnehmen. Besonders hoch ist die Quote bei Personen, die älter als 76 Jahre (73 Prozent) oder verwitwet (77 Prozent) sind. Auch ein niedriger Bildungsstatus geht damit einher, dass die Grundsicherung seltener in Anspruch genommen wird.

Grundrente: Meilenstein oder missraten?
Damit mehr ältere Menschen mit kleinen Einkommen keinen Antrag auf Grundsicherung stellen müssen, fordert der VdK eine Grundrente, die diesen Namen auch verdient, heißt es. Bei den Grundrentenzeiten müssten auch Jahre der Erwerbsminderung und Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Denn nur sehr wenige Erwerbsminderungsrentner*innen kämen auf die mindestens notwendigen 33 Beitragsjahre. Die Lebensleistung derjenigen, die darunterliegen, wird nicht berücksichtigt. „Damit mehr Rentner*innen eine Grundrente erhalten, muss deshalb die Gleitzone ab 30 Grundrentenjahre gelten“, sagt VdK-Präsidentin Bentele weiter. Exkurs: Schätzungen zufolge werden bundesweit von den insgesamt 21,2 Millionen Rentner*innen rund 1,3 Millionen mit der Grundrente im Alter eine höhere Rente haben. Grundrentenberechtigte werden laut Angaben des Arbeitsministeriums zu rund 70 Prozent Frauen sein und überdurchschnittlich viele Ostdeutsche. Maßgebend soll die Grundrente das Einkommen von Rentner*innen mit langen Versicherungszeiten und eher niedrigen Einkommen, sofern das Haushaltseinkommen insgesamt nicht die Freibeträge bei der Einkommensanrechnung übersteigt, verbessern. Hierbei prüft die Deutsche Rentenversicherung bis Ende 2022 automatisch alle Bestandsrenten und zahlt den Grundrentenzuschlag rückwirkend zum 1. Januar 2021, beziehungsweise zum individuellen Rentenbeginn aus. Nach Information der Deutschen Rentenversicherung hat der Versand der ersten Bescheide im Juli 2021 zunächst an Neurentner*innen begonnen. Die Auszahlung des Grundrentenzuschlags erfolgt im Anschluss im Rentenzahlverfahren. Wichtiger noch: Der höchstmögliche Zuschlag beträgt aktuell etwa 418 Euro. Im Durchschnitt beträgt er etwa 75 Euro, heißt es offiziell von der Bundesregierung.

Mindestrente für Geringverdiener
Im Gegensatz zur Grundrente schlägt das DIW Berlin als wichtigstes Instrument, um Altersarmut zu verhindern und den Menschen wirklichen Respekt für ihre Lebensleistungen zu zollen, eine sogenannte „Mindestrente“ vor. Andere Länder wie Österreich und die Niederlande würden das schon vormachen. „Menschen mit geringeren Einkommen und Rentenanwartschaften würden auf diese Weise eine finanzielle Absicherung bekommen. So könnte den regressiven Wirkungen des derzeitigen Systems, die sich bei einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters verschärfen würden, entgegengewirkt werden. Die Bundesregierung hat mit ihrer Grundrente einen kleinen Schritt in eine solche Richtung getan. Diese ist jedoch bisher viel zu restriktiv und zu viele Menschen (man denke an diejenigen, die nicht auf 35 Beitragsjahre kommen) werden dabei ignoriert.“

Im Schatten der Babyboomer
Merke: Die Rente ist vor allem abhängig von vier wichtigen Faktoren. Diese sind das zukünftige Rentenniveau, die Wirtschaftslage, die Höhe der Löhne und die Anzahl der Beitragszahler. Letztere stehen immer mehr Leistungsbeziehenden gegenüber. Das heißt, hierzulande gibt es einen hohen Anteil von Menschen zwischen 46 bis 66 Jahren – die sogenannten Babyboomer. Dieser illustre Personenkreis wird in den kommenden 20 Jahren das Renteneintrittsalter erreichen. Somit ist damit zu rechnen, dass die Zahl der zukünftigen Rentner stark ansteigen wird. Dem gegenüber ist die Zahl der zukünftigen Beitragszahler in einem deutlich geringeren Verhältnis. Dies kann dazu führen, dass das Rentenniveau in Zukunft sinkt oder die Beiträge in die Deutsche Rentenversicherung deutlich steigen. Mögliche Folgen sind geringe Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rente und noch stärkere Altersarmut.

Prognose: Rentenniveau unter 43 Prozent bis 2030
Heute schon liegt das Rentenniveau vor Steuern in Deutschland bei nur noch 47,3 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns.  2017 waren es noch 47,9 Prozent, berichtet die Deutsche Rentenversicherung. Ab dem Jahr 2030, da sind sich die meisten Fachleute einig, wird das Niveau von dann 44,3 Prozent dramatisch sinken, was zeigt, dass das Rentensystem trotz Rentenanpassungsformel und trotz Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre weiterhin das Problem hat, künftige Generationen stärker zu belasten. So oder so, eines ist sicher: Das umlagefinanzierte Rentenmodell, bei dem die Jungen für die Alten einzahlen, steht wegen des demografischen Wandels auf sehr wackeligen Beinen. Auch private Ergänzungen wie die Riester-Rente stehen wegen hoher Kosten durch die Niedrigzinsen unter enormen Druck.

Aktienrente: Börse soll das Rentenproblem lösen
Bleiben als zusätzliche Geldquelle, um die gesetzliche Rente auf Dauer finanzieren zu können, Modelle einer kapitalgedeckten Altersvorsorge – etwa Aktienrenten. Dass künftig Erlöse aus Wertpapieren zur Stabilität des Rentensystems beitragen, so die Vorstellung der Ampel-Koalition, sehen Sozialverbände allerdings skeptisch. Sie verlangen gesetzliche Vorkehrungen, um zu verhindern, dass am Ende die Schwächsten den Preis für die Profite der deutschen Rentenkasse zahlen. Die Sorge, was bei einem Crash mit der Rente passieren könnte, ist der meistgenannte Kritikpunkt unter den Experten. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund ist klar, dass eine fondsbasierte private Aktienrente die betriebliche Altersvorsorge nicht schwächen darf. Die Gewerkschaftler warnen davor, dass die sogenannte Aktienrente nur jenen etwas bringe, die lange und vor allem dauerhaft einzahlen würden. Menschen, die früher in Rente gehen müssten, hätten möglicherweise das Nachsehen. Denn die Aktienrente kenne kein Solidarprinzip und es gibt auch keine Erwerbsminderungsrente. Abschließend dazu VdK-Präsidentin Verena Bentele gegenüber dem ZDF: „Das wichtigste ist die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir wissen alle, wie riskant Anlagen an der Börse sein können und die Rente ist einfach kein Spielgeld.“ (DE/2022)

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